bag if Jahrestagung 2022: Inklusionsunternehmen – digital und nachhaltig.
Unter dem Motto „Inklusionsunternehmen – digital und nachhaltig“ fand vom 14. bis 15. Juni die Jahrestagung 2022 der bag if in Potsdam statt. Neben mehr als 300 Gästen aus Wirtschaft, Politik, Fachwelt und Verwaltung begrüßte die bag if die behindertenpolitischen Sprecher*innen fast aller Bundestagsfraktionen.
Zur Eröffnung der Jahrestagung 2022 hielt Ulrich Adlhoch, 1. Vorsitzender der bag if, eine Rede zur Standortbestimmung der Inklusionsunternehmen in Deutschland. Die Corona-Pandemie zeigte in aller Deutlichkeit, dass Inklusionsbetriebe noch viel zu häufig nicht als “echte” Wirtschaftsbetriebe wahrgenommen werden. So wurden sie zunächst von den regulären Hilfsprogrammen der Bundesregierung ausgeschlossen. Die bag if wirkt in ihrer politischen Arbeit darauf hin, dass Inklusionsunternehmen als das erkannt werden, was sie sind: “Wirtschaftsunternehmen mit einem sozialen Auftrag, die sich dem Wettbewerb des Marktes stellen”. Lobende Worte fand der 1. Vorsitzende für den Ampel-Koalitionsvertrag, der viele der Forderungen der bag if zur Bundestagswahl 2021 aufgriff. “Wir verstehen das als Anerkennung des gesellschaftlichen Mehrwerts der Inklusionsunternehmen”. Abschließend bezog sich Ulrich Adlhoch in seiner Rede auf die UN-Behindertenrechtskonvention, zu deren Umsetzung Deutschland verpflichtet ist. “Inklusionsbetriebe stehen für einen inklusiven Arbeitsmarkt. Sie haben durch den § 216 SGB IX einen gesetzlichen Auftrag zu erfüllen und setzten die UN-BRK um. Damit sie diesem Auftrag gerecht werden können, muss der Staat verlässliche Unterstützung und Förderung leisten.” resümierte der 1. Vorsitzende der bag if.
In ihrem Beitrag „Chancen und Herausforderungen für einen inklusiven Arbeitsmarkt“ stellte Susanne Strehle, Leiterin der Unterabteilung Va des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, die inklusionspolitische Agenda des BMAS vor. Zu den wichtigsten Zielen der Agenda zählen Barrierefreiheit, die Stärkung des inklusiven Arbeitsmarktes und die Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes. Das Thema Barrierefreiheit ist im Koalitionsvertrag mit einer ambitionierten Zielsetzung verankert: Deutschland soll in allen Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens barrierefrei werden. Hierfür hat das BMAS das Bundesprogramm Barrierefreiheit initiiert, zudem werden das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) und das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) weiterentwickelt. Zur Stärkung des inklusiven Arbeitsmarktes arbeitet das BMAS u.a. an einer vierten Stufe der Ausgleichsabgabe, deren Mittel zukünftig nur noch die Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt fördern sollen. Für Arbeitgeber*innen sollen zudem einheitliche Beratungsstellen zur Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen geschaffen werden.
Im inklusionspolitischen Fachgespräch diskutierten die Gäste der bag if ihre „Vision eines inklusiven Arbeitsmarktes“. Zu ihnen zählten Janny Armbruster, Landesbehindertenbeauftragte in Brandenburg, die behindertenpolitischen Sprecher*innen Takis Mehmet Ali, SPD-Bundestagsfraktion, Wilfried Oellers, CDU/CSU Bundestagsfraktion, Sören Pellmann, Bundestagsfraktion Die Linke, Corinna Rüffer, Bundestagsfraktion Bündnis 90 / Die Grünen, sowie Susanne Strehle, BMAS, Thomas Niermann, BIH und Ulrich Adlhoch, bag if. Moderiert wurde das Fachgespräch von Rainer Schmidt. Das Bundesteilhabegesetz und der Koalitionsvertrag haben den Fahrplan für die kommenden Jahre vorgegeben, „jetzt gilt es redlich zu bleiben und die ambitionierten Ziele auch umzusetzen“, so Corinna Rüffer. Für sie sind Barrierefreiheit, Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung und die Stärkung der Budgets für Arbeit und für Ausbildung zentrale Ziele in der laufenden Legislaturperiode. Takis Mehmet Ali sieht insbesondere beim BTHG noch erhebliche Umsetzungsprobleme: „Wir brauchen jetzt Macher, die sich etwas trauen!“ Um mehr Beschäftigung von Menschen mit Behinderung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu ermöglichen, sieht Herr Mehmet Ali die Verwendung der Ausgleichsabgabe als wichtigen Schlüssel. Sie soll nur noch zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarktes eingesetzt werden. Außerdem wirbt er für ein neues Selbstverständnis der Werkstätten für behinderte Menschen. Als Vertreter der Opposition zeigte sich Sören Pellmann „zurückhaltend optimistisch“. Die Ziele des Koalitionsvertrags sind richtig, so Pellmann, aber es sei noch zu wenig passiert, die Regierung müsse nun handeln: „Ich sehe meine Aufgabe darin, die Regierenden wieder an ihre Ziele zu erinnern.“ Wilfried Oellers verwies auf den aktuellen Antrag CDU/CSU-Fraktion für einen inklusiven Arbeitsmarkt und betonte, dass das Thema noch stärker in die Gesellschaft hineingetragen werden muss: „Wir brauchen eine gesellschaftliche Diskussion, um Inklusion auch in die Köpfe zu bekommen – Gesetze allein reichen nicht aus.“ Zustimmung bekam er unter anderem von Janny Armbruster, die sich für eine inklusive Arbeitswelt einsetzt und ihren Auftrag darin sieht, „hierfür die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen“. Mit seiner Vision eines inklusiven Arbeitsmarktes plädierte Thomas Niermann für Verwaltungsreformen, u.a. um das „Stigma“ der dauerhaften Erwerbsminderung ad acta zu legen und personenzentrierte Beschäftigungsinstrumente zu stärken. Susanne Strehle begrüßte den politischen Willen zu mehr Inklusion auf dem Arbeitsmarkt: „Die Gesetzgebung wird hierzu einen wichtigen Beitrag leisten.“ Die Gesetze in die Umsetzung zu bringen, ist ihr erklärtes Ziel.
Prof. Dr. Dr. Alexander Brink, Universität Bayreuth und concern GmbH, thematisierte die zunehmende Bedeutung nachhaltigen ökonomischen Handelns in seiner Keynote „Twin Transformation: Wie die Zwillingstransformation aus Nachhaltigkeit und Digitalisierung werteorientiert gelingen kann!“ Er hält fest: „Wir kommen von einem Wirtschaftssystem mit einer Ich-Präferenz, das sich im Wandel zu einer Kooperationsökonomie mit einer Wir-Präferenz befindet“. Dieser Prozess ist für die Vermeidung großer sozialer und ökologischer Krisen unabdingbar und wird somit auch politisch forciert. Etwa mit der EU-Taxonomie für ökologische Standards und der geplanten Taxonomie für soziale Standards. „Als Inklusionsunternehmen dürfen Sie sich hier als Vorreiter sehen, da Sie mit Ihrem inklusiven Kern bereits sehr nah an die Ziele einer solchen Taxonomie herankommen“. Schon heute setzen Inklusionsunternehmen zahlreiche UN-Nachhaltigkeitsziele (SDGs) um: „Bei Ihnen steht bereits jetzt der Mensch im Mittelpunkt, das ist ein klarer Wettbewerbsvorteil im Markt der Zukunft“, so Prof. Dr. Dr. Alexander Brink. Um diese Wirkung von Inklusionsunternehmen zu messen und darzustellen, arbeiten die bag if, Prof. Brink und Dr. Markus Groß-Engelmann (ebenfalls concern GmbH) an der Studie „MehrWirkung“.
Henrik Zaborowski, Personalberater und Recruiting-Experte, stellte gleich zu Beginn seiner Keynote „Personalrecruiting 4.0 – Das Recruiting der Zukunft ist social“ klar: „Der Fachkräftemangel trifft alle und er wird aufgrund des demografischen Wandels auch so schnell nicht mehr weggehen“. Um dennoch erfolgreich auf dem Bewerbermarkt zu sein, müssen Unternehmen aktiv werden, so Zabrorowski. „Werben Sie für Ihr Unternehmen, gestalten Sie es arbeitnehmerfreundlich und suchen Sie keine fertigen Fachkräfte, sondern Menschen mit Potenzial und Motivation, die Lust haben, in ihre neuen Aufgaben hineinzuwachsen“. Konkret empfiehlt er, die Personalgewinnung nicht als Prozess zu verstehen, sondern als eine „Kommunikation und Interaktion zwischen Menschen“. In der Praxis heißt das für ihn: „Gestalten Sie das Bewerbungsverfahren niedrigschwellig. Verabschieden Sie sich von formellen Anforderungen wie den Lebenslauf und geben Sie den Menschen die Möglichkeit, sich im Gespräch oder einer kreativen Bewerbung selbst darzustellen und – ganz wichtig – geben Sie jedem Menschen eine Chance!“
Zum Abschluss der ersten bag if Jahrestagung, die seit 2019 in Präsenz stattfinden konnte, fasste Ulrich Adlhoch das Event wie folgt zusammen: „Die bag if Jahrestagung ist ein wichtiges Forum, um die Inklusion im Arbeitsmarkt mit Expertinnen und Experten unterschiedlichster Couleur zu diskutieren. Für unsere Mitglieder und Gäste zählen der fachliche Austausch, die vielfältigen Impulse sowie die Möglichkeiten zum Netzwerken“. Um Inklusion als gesellschaftliches Ziel nachhaltig zu erreichen, sei es besonders wichtig, das Potenzial inklusiver Arbeit zu unterstreichen und auf das wirtschaftliche und soziale Erfolgsmodell der Inklusionsunternehmen aufmerksam zu machen.
Impressionen der Jahrestagung
Fotos: Harald Fuhr