bag if Jahrestagung 2024: Inklusionsunternehmen – nachhaltig, inklusiv, innovativ
Unter dem Motto „Inklusionsunternehmen – nachhaltig, inklusiv, innovativ“ fand vom 11. bis 12. Juni die Jahrestagung 2024 der bag if in Potsdam statt. Neben mehr als 300 Gästen aus Wirtschaft, Politik, Fachwelt und Verwaltung begrüßte die bag if die teilhabepolitischen Sprecher*innen der Koalitionsfraktionen Jens Beeck (FDP), Takis Mehmet Ali (SPD) und Corinna Rüffer (Bündnis 90/Die Grünen) sowie Dr. Stefan Profit (BMWK) und Maren Pelzner (BMAS), um die Herausforderungen für einen inklusiven Arbeitsmarkt und ein soziales Unternehmertum zu diskutieren.
Zur Eröffnung der Jahrestagung 2024 betonte Ulrich Adlhoch, 1. Vorsitzender der bag if, die hohe zivilgesellschaftliche Bedeutung von Inklusion und Inklusionsunternehmen in der heutigen Gesellschaft. Demnach stehen Inklusionsunternehmen für essenzielle demokratische Werte wie Pluralismus, Partizipation und Sozialstaatlichkeit. Sie verwirklichen gelebte soziale Marktwirtschaft auf nachhaltige Weise und bilden ein Gegengewicht zu rechten Ideologien, Hass und Hetze. Zudem hob Ulrich Adlhoch den innovativen Charakter der Inklusionsunternehmen hervor, die gesellschaftliche Lösungen durch innovative, unternehmerische Mittel schaffen. Mit Bezug auf die Frage „Was ist ein inklusiver Arbeitsmarkt?“ regte der 1. Vorsitzende der bag if die Einrichtung einer Enquete-Kommission an. Diese soll, vergleichbar mit der Psychiatrie-Enquete in den 1970er Jahren, eine breite gesellschaftliche Debatte zum Thema Inklusion, insbesondere auf dem Arbeitsmarkt, anstoßen. Vor dem Hintergrund der Nationalen Strategie für Soziale Innovationen und Gemeinwohlorientierte Unternehmen erklärte Ulrich Adlhoch die gestiegene Bedeutung von Wirkungsmessung und hob die Studie „MehrWirkung“ der bag if sowie die beabsichtigte Weiterentwicklung und Verstetigung der Studie hervor.
Maren Pelzner, Leiterin der Unterabteilung Va – Inklusion, Rehabilitation/Teilhabe und Digitale Transformation – im Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), informierte die Gäste mit ihrem Impulsreferat zu den Fortschritten bei der Umsetzung eines inklusiven Arbeitsmarktes, der für das BMAS einen inklusionspolitischen Schwerpunkt darstellt. Durch das Bundesteilhabegesetz, die anderen Leistungsanbieter, das Budget für Arbeit und die einheitlichen Ansprechstellen sind, so Frau Pelzner, in den vergangenen Jahren bereits wichtige Schritte für mehr Inklusion auf dem Arbeitsmarkt unternommen worden. Fortgesetzt wurde dieser Prozess durch das Gesetz zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarktes, das unter anderem die Aufhebung der Deckelung im Budget für Arbeit, die Einführung einer vierten Stufe in der Ausgleichsabgabe, die ausschließliche Verwendung der Mittel der Ausgleichsabgabe für die Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt und die Streichung des Vermittlungsauftrags für Inklusionsbetriebe vorsieht. Frau Pelzner betonte, dass Inklusionsunternehmen ein vollwertiger Teil des allgemeinen Arbeitsmarktes sind. Sie sprach auch über den strukturierten Dialogprozess zur WfbM-Reform, der im Herbst 2023 eröffnet wurde, sowie über den vorliegenden Aktionsplan. Im Zusammenhang mit dem Budget für Arbeit betonte sie, dass es nicht mehr zwingend erforderlich sein soll, den WfbM-Berufsbildungsbereich zu durchlaufen. Dies soll durch Zielvereinbarungen für eine WfbM-Übergangsquote unterstützt werden. Geprüft wird auch die Streichung der Anrechnungsmöglichkeit auf die Ausgleichsabgabe nach § 223 SGB IX. Für die Weiterentwicklung des Berufsbildungsbereichs sollen realistische Alternativen geprüft werden, hierzu ist ein Konsultationsprozess u.a. mit der Bundesagentur für Arbeit geplant. Zudem wird der Dialogprozess zur Entlohnung in den WfbM fortgesetzt und es wird an einer Verbesserung der aktuellen Entgeltsituation in den WfbM gearbeitet.
Dr. Stefan Profit, Leiter der Unterabteilung „Gesamtwirtschaftliche Entwicklung, Analysen und Projektionen“ im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, sprach in seiner Keynote über die Umsetzung der Nationalen Strategie für Soziale Innovationen und Gemeinwohlorientierte Unternehmen. Er hob hervor, dass Innovation und unternehmerisches Handeln zentrale Schwerpunkte der Strategie sind und Inklusionsunternehmen dabei eine vitale Rolle spielen. Sie sind am Markt aktiv, erwirtschaften Steuern und sind regulärer Teil der Wirtschaft. Zudem öffnen sie den Arbeitsmarkt für neue Personengruppen und tragen damit zur Fachkräftegewinnung bei. In Deutschland beschäftigt die Social Economy insgesamt 2,6 Millionen Menschen. Gemeinwohlorientierte Unternehmen sind zudem überdurchschnittlich stabil und deutlich weniger anfällig für Insolvenzen. Die Nationale Strategie sieht vor, die Rahmenbedingungen für sozial-innovative und gemeinwohlorientierte Unternehmen durch rund 70 Maßnahmen in 11 Handlungsfeldern zu verbessern und passende Förder- und Finanzierungsinstrumente zu entwickeln. Zu den Maßnahmen zählen u.a.: Öffnung von KMU-Förderprogrammen, Entwicklung und Ausbau von Förderinstrumenten, neue Finanzierungsmodelle, Ausbau des Zugangs zu KfW-Programmen, Abbau bürokratischer Hürden im Gemeinnützigkeitsrecht, Ausbau der Gründungs- und Unternehmensberatung, Ausrichtung der öffentlichen Beschaffung nach sozialen und ökologischen Kriterien, Stärkung der Wirkungsorientierung und Wirkungsmessung.
Im inklusionspolitischen Fachgespräch diskutierten die Gäste der bag if die Frage „Teilhabe – nachhaltig, inklusiv, innovativ. Welche Veränderungen brauchen wir dafür?“. Zu ihnen zählten die teilhabepolitischen Sprecher*innen der Koalitionsfraktionen Jens Beeck MdB (FDP), Takis Mehmet Ali MdB (SPD) und Corinna Rüffer MdB (Bündnis 90/Die Grünen) sowie Prof. Dr. Helga Seel (Beiratsvorsitzende der bag if) und Maren Pelzner aus dem BMAS. Takis Mehmet Ali unterstrich die Notwendigkeit, den Zugang aus Schulen in WfbM flexibler zu gestalten und hierfür grundlegende Änderungen im Berufsbildungsbereich zu prüfen. Er forderte Anreize für WfbM-Beschäftigte, um Neues auszuprobieren. Denkbar wäre z.B., das Rentenprivileg an die Person zu binden statt an die WfbM. Die Unterstützung von Inklusionsunternehmen sei ein wichtiger Teil des inklusiven Arbeitsmarktes, der auszubauen sei. Corinna Rüffer sprach sich für die Einrichtung einer Enquete-Kommission für Inklusion aus und betonte die Notwendigkeit konkreter Planungen und Zeitvorgaben. Sie unterstrich die Notwendigkeit der Transformation und Weiterentwicklung der WfbM, um mehr Übergänge auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Grundlage des inklusionspolitischen Handelns müsse die Stärkung des Wunsch- und Wahlrechts und die Ermöglichung von Pluralität sein. Jens Beeck hob die bisherigen Erfolge auf dem Weg zu einem inklusiven Arbeitsmarkt hervor, z.B. die Einführung der Budgets für Arbeit und Ausbildung, die vierte Stufe der Ausgleichsabgabe und die Änderung des Umsatzsteuergesetzes zugunsten von Inklusionsbetrieben. Ein Ziel müsse es sein, das Budget für Arbeit praxisfähiger zu machen. Herr Beeck sprach sich dafür aus, mehr Übergänge von WfbM in Inklusionsunternehmen zu ermöglichen und eine neue Lösung für das Rentenprivileg auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu prüfen. Für die Barrierefreiheit im privatwirtschaftlichen Bereich müssen, so Herr Beeck, praktikable Lösungen gefunden werden. Prof. Dr. Helga Seel betonte die hohe Bedeutung des Wunsch- und Wahlrechts. Um die bestmöglichen Teilhabelösungen zu realisieren, müsse die Arbeitswelt inklusiver gestaltet werden. Auch Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf müssen davon profitieren. Mit Bezug auf die Förderung des Besonderen Aufwands für Inklusionsbetriebe stellte Frau Seel die Frage, ob die derzeitigen Förderstrukturen noch zeitgemäß sind. Sie äußerte den Wunsch nach mehr Mut und Kreativität bei der Entwicklung innovativer Förderansätze.
Prof. Dr. Jutta Rump, Direktorin des Instituts für Beschäftigung und Employability in Ludwigshafen, ging in ihrer Keynote „Die neue Normalität in der Arbeitswelt“ näher auf die tiefgreifende Transformation ein, die sich derzeit auf mehreren Ebenen vollzieht: ökonomisch, ökologisch, demographisch und krisenbedingt. Aufgrund des demographischen Wandels werden in Deutschland bis 2035 ca. 6-7 Millionen mehr Menschen aus dem Erwerbsleben ausscheiden, als neue in den Arbeitsmarkt eintreten. Ein Mangel an Ressourcen (Finanzen, Zeit, Arbeits- und Fachkräfte) ist die Folge und es entsteht ein erheblicher Erfüllungsdruck für den Nachwuchs. Welche Prioritäten dabei gesellschaftlich gesetzt werden, ist Ergebnis von Aushandlungsprozessen, die jedoch häufig nicht konstruktiv gestaltet werden. Die Veränderung wird zum Normalzustand, ein Verlust an Orientierung und Sicherheit droht. Mögliche Lösungen, um den arbeitsmarktpolitischen Herausforderungen zu begegnen, umfassen neben Zuwanderung auch die Aktivierung neuer Arbeitskräftepotenziale und gezielte Personalentwicklung. Frau Rump betonte zudem die Rolle der Künstlichen Intelligenz (KI) in diesem Prozess. Sie sieht in KI-Systemen eine große Chance, um Arbeitsprozesse zu optimieren und Zeit zu gewinnen.
Dr. Henning Beck, Neurowissenschaftler, Autor und Berater, setzte sich in seiner Keynote „Brain the company – Das Gehirn als Meister der Innovation“ mit den Unterschieden zwischen dem menschlichen Denken und der Funktionsweise der KI auseinander. Er betonte die einzigartige Fähigkeit des Menschen, in Konzepten zu denken, was ihn von der KI unterscheidet. Menschen fragen nach dem „Wofür“ und „Warum“ und können diese Konzepte auf jede beliebige Situation anwenden. Sie sind in der Lage, zu antizipieren und sich vorzubereiten. Für Menschen sind nicht die Daten an sich wichtig, sondern ihre Bedeutung. Dr. Beck sieht die Gefahr nicht darin, dass Computer wie Menschen werden, sondern dass Menschen wie Computer werden. Die KI hat erhebliches Potential, die menschliche Effizienz zu steigern, und wir sollten dieses Potential, bei allem Risikobewusstsein gegenüber der KI, ausschöpfen. Die kreative Kraft der Neugier und des Hinterfragens könne sie jedoch nicht ersetzen. Dr. Beck glaubt, dass die nächste „große Idee“ nicht von der KI, sondern vom menschlichen Gehirn entwickelt wird.
Zum Abschluss der bag if Jahrestagung 2024 fasste Ulrich Adlhoch das Event wie folgt zusammen: „Die bag if Jahrestagung ist ein wichtiges Forum, um die Leistungsfähigkeit und das Potential der Inklusionsunternehmen mit Expert*innen unterschiedlichster Couleur zu diskutieren. Unsere Mitglieder und Gäste schätzen den fachlichen Austausch, die vielfältigen Impulse und die Möglichkeiten zum Netzwerken. Für uns ist es wichtig, die Nachhaltigkeit und die Innovationskraft unserer Unternehmen in den Mittelpunkt zu rücken.“
Impressionen von der Jahrestagung
Fotos: Harald Fuhr