Rückblick auf die Podiumsdiskussion der Jahrestagung 2013
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Dr. Richard Auernheimer fragt nach den Perspektiven von Integrationsfirmen
Matthias Rösch
Inklusion heißt für ihn Menschenwürde als zentraler Gedanken. Vom regulären Bereich ausgehen und schauen, wie man Menschen mit Behinderung inkludiert. Mit den Integrationsfirmen (IF) ist man in Rheinland-Pfalz sehr gut vorangekommen und gut aufgestellt. Für Menschen mit schwereren Behinderungen stehe das Budget für Arbeit zur Verfügung. Eine grundlegende Finanzierung muss angegangen werden, z.B. durch eine Erhöhung der Pflichtquote bei der Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen. Die sei ein Weg das Aufkommen der Ausgleichsabgabe zu erhöhen. Er will sich dafür einsetzen, dass es weiter geht mit dem inklusiven Ansatz der Integrationsfirmen.
Christine Ohnesorg
Für Frau Ohnesorg sind Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) und IF Kooperationspartner. So ist bei ihnen der Berufsbildungsbereich der WfbM ausgliedert, so dass Werkstattaufnahmen von Beginn an gar nicht notwendig werden. Ausgelagerte Arbeitsplätze der Werkstatt gibt es in Betrieben des allgemeinen Arbeitsmarktes aber auch bei der simotec gGmbH, einem IF unter dem Dach des Gemeinschaftswerkes. Im neuen „Kochwerk“ entstehen neue Integrationsarbeitsplätze und weitere Plätze für das Budget für Arbeit.
Karl-Werner Wilke
Er hat IF gegründet, da er Schwierigkeiten hatte, Näherinnen zu finden. Bei den nichtbehinderten Mitarbeitern im Betrieb ist viel Überzeugungsarbeit zu leisten: „Was kommt da auf uns zu?“ hätten sich viele gefragt. Das sei ein langer Lernprozess gewesen. Aber auch der behinderte Mitarbeiter müsse einsehen, dass er ein „normaler Mitarbeiter“ ist und nicht nur „der behinderte Mitarbeiter“. Einen Hauptvorteil in der Anstellung von Menschen mit Behinderung sieht er in der hohen Motivation dieser Menschen.
Anselm Bilgri
Ethik kommt vom altgriechischen Wort ethos und bedeutet „Wohnung“. Es heißt damit das Übereinkommen, dass das Leben in einer Gemeinschaft formt. Ein Unternehmen muss auch durch ökonomische Aspekte überzeugt werden. Hier soll Nachhaltigkeit als Dauerhaftigkeit angesehen werden. Ethik muss auch von „oben“ gelebt und gezeigt werden. Integrationsbetriebe können eine gute Basis sein für die weitere Verständigung.
Ulrich Adlhoch
Es geht nicht nur um Geld – es gehe auch um die Idee. Für ihn sind „Integrationsfirmen gelebte soziale Marktwirtschaft“. Ansätze sollten in die ganz allgemeine Arbeitswelt eingehen, auch im gewerblichen Bereich. Dort gebe es noch viel Potenzial. Die Aufgabe der Integrationsämter bestehe darin, Arbeitgeber nicht alleine zu lassen, sondern dauerhaft zu begleiten und Unterstützung zu gewähren. Neben den Integrationsprojekten sind die Integrationsfachdienste sehr wichtig und gefragt für mehr Inklusion zu sorgen.
Hubert Hüppe
Die Frage ist, wie die bisherige Entwicklung in Sachen Inklusion auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt stärker zu beschleunigen ist. Dies wird ein politischer Kampf, für den er sich einsetzen will. Die Mittel der Ausgleichsabgabe gehören auf den allgemeinen Arbeitsmarkt, wo sie eingenommen werden. Einige Vorschriften stehen einer inklusiven Entwicklung im Wege. So scheiterte beispielsweise die Budgetierung des Berufsbildungsbereichs in WfbMs an den Beiträgen, die in die Rentenversicherung abgeführt werden. „Wir brauchen das Fachwissen der WfbMs, der BBWs usw., aber brauchen wir auch diese Räume?“ Alle wollten Inklusion, aber nur wenn es sie selbst nicht ökonomisch trifft.
Dr. Fritz Baur
Für ihn stellt sich die Frage, wie die Anliegen der Integrationsfirmen in Form der Lahnsteiner Erklärung in die Politik eingebracht werden könne. Mit Blick auf die Inklusion sieht Herr Dr. Baur zwei Welten: Erstens die Welt der Eingliederungshilfe (Sozialhilfe), eine „Riesenwelt, es gibt keinen Finanzmangel“. Die zweite Welt ist des SGB IX (Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen), mit den Integrationsfirmen, in die rund 50 Millionen Euro an Nachteilsausgleichen gehen. Diese zwei Welten sind fast komplett voneinander getrennt. In der nächsten Regierungsperiode muss die Thematik bearbeitet werden. Eine Reform der Eingliederungshilfe muss diese Trennung in zwei Welten aufweichen. Mit der Lahnsteiner Erklärung will die bag-if bis zum 22. September diese Themen politisch platzieren. Dazu brauchen wir „starke Verbündete, nicht nur aus der Behindertenhilfe, sondern auch von den Firmen.“
Dr. Richard Auernheimer stellt den Diskussionsteilnehmern die Frage, welche Umsetzungsstrategien es für die weitere Entwicklung gibt.
Dr. Fritz Baur
Der §16e (Jobperspektive) im SGB II muss neu fruchtbar gemacht werden, um Leistungsträger wie die Bundesagentur für Arbeit in die Pflicht zu nehmen.
Hubert Hüppe
Der §16e SGB II ist eigentlich ein langfristiges Budget der Arbeit. Es wurde nach seiner Ansicht leider ausgenutzt und somit waren die Mittel schnell erschöpft. Es müssten die Wirtschaftsverbände und die Finanzpolitiker überzeugt werden. Das Thema dürfe nicht als „Sozialgedusel“ abgetan werden, sondern sei auch finanzpolitisch wichtig.
Aus dem Publikum
Wichtig ist, dass die Agenturen für Arbeit ihren Beitrag leisten müssen, z. B. bei der Gewährung von Eingliederungszuschüssen für Schwerbehinderte müsse sich die Agentur mehr an den rechtlich möglichen Rahmen orientieren. Somit ließe sich mehr Integration im allgemeinen Arbeitsmarkt herstellen.
Ulrich Adlhoch
Wir brauchen neue Investitionsprogramme, wie es Sie in einigen Ländern schon gibt. Die investiven Mittel gehen beispielsweise im Bereich des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe in strukturelle Maßnahmen. Die Frage nach dem dauerhaften Nachteilsausgleich ist für Arbeitgeber sehr wichtig, damit sie Menschen mit Behinderung beschäftigen können. Auch die Integrationsfachdienste, die rund 20% der Mittel erhalten, sind ein Teil dieser strukturellen Ausrichtung. Mit der „Initiative Inklusion“ wurden Alternativen zur Aufnahme in WfbM geschaffen. Das müsse man weiter verstetigen. Die Mittelumschichtung zu Gunsten inklusiver Ansätze sieht er auf einem guten Weg.
Dr. Richard Auernheimer stellt Herrn Bilgri die Frage, ob er nun die Integrationsfirmen als Beispiel von „moderne“ Firmen mit in die Beraterwelt nimmt.
Anselm Bilgri
Es geht uns in Deutschland gut, auch auf Grund der sozialen Marktwirtschaft zu der er ein positives Feedback geben möchte. Der Mensch sollte im Zentrum stehen, seine Bedürfnisse dürfe man nicht aus dem Blick verlieren. Das Subsystem der Wirtschaft ist für den Menschen da. Die Integrationsfirmen realisieren das. Deren Erfolgssignale sollten bei der Umsetzungsstrategie in die Wirtschaft integriert werden.
Hubert Hüppe
Die Lahnsteiner Erklärung müsse an alle verschickt werden: örtliche Presse, Kammern, Wirtschaftsverbände. Es müssen Ängste abgebaut werden – gerade in der Wirtschaft. Bei der Agentur für Arbeit funktioniere die Umsetzung vor Ort nicht. Als Beispiel nannte er die Budgetierung von berufsvorbereitenden Maßnahmen (BVB). Sie sei in der Praxis sehr langwierig und schwierig. Das gesamte Rehasystem muss dem Menschen dienen. „Ich persönlich habe mit 5 Trägern zu tun. Ein unheilbarer Zustand.“ Es gehe einfach darum, Arbeit zu finden – ob mit oder ohne Unterstützung.
Christine Ohnesorg
Der Budgeteinsatz funktioniere in der Praxis, müsse aber gut vorbereitet werden. Sie sieht bei Integrationsfirmen, die nicht in Ballungsgebieten arbeiten, das Problem der Mobilität. Öffentliche Verkehrsmittel stehen nur eingeschränkt zur Verfügung, auch die Barrierefreiheit sei bei Integrationen in Betriebe des allgemeinen Arbeitsmarktes ein Thema, das bei einem umfassenden Integrationsmanagement beachtet werden müsse.
Matthias Rösch
Mit dem Budget für Arbeit seien auch Menschen mit schweren Beeinträchtigungen im allgemeinen Arbeitsmarkt zu integrieren. Die Wirtschaft müsse dem Menschen dienen, ebenso muss Rehabilitation dem Menschen dienen. Für Matthias Rösch gibt es mehr als zwei Welten: Er selbst habe insgesamt sieben Ansprechpartner, alle mit einer eigenen Welt. Er sieht deshalb noch viele Baustellen, insbesondere müssen die gemeinsamen Servicestellen aus seiner Sicht qualitativ weiterentwickelt werden. In Deutschland gibt es noch viel zu tun, um die strukturelle Barrierefreiheit zu erreichen. Integrationsfirmen seien mit ihrem Ansatz ein wichtiger Beitrag zur Inklusion.
Karl-Werner Wilke
Der Unternehmer muss vom Unternehmen her denken. Es sei deshalb wichtig, dass Integrationsfirmen und ihr Ansatz viel bekannter bei den Unternehmen werden müssen. Der Abbau von Ängsten bei Unternehmen müsse gestützt werden, um die Einstellung von Menschen mit Behinderung zu ermöglichen. Es fehle teilweise an Einblick und Transparenz bei den Fördermöglichkeiten, um Menschen mit Behinderungen einzustellen. Er sieht ein allgemeines Hindernis: Heute sind viele Firmen nur kurzfristig am Markt tätig, dort kann Inklusion nicht richtig gelingen. Langfristige und nachhaltige Unternehmenskonzepte seien für das Funktionieren wichtig. Er habe als Unternehmer gute Erfahrungen mit dem Ansatz „Integrationsunternehmen“ gemacht und könne es jedem weiterempfehlen.
Abschlussworte von Dr. Fritz Baur
Er habe viele gehaltvolle Vorträge auf einer interessanten Tagung erlebt, in denen auch die Lahnsteiner Erklärung gut aufgenommen wurde. Die Punkte der Erklärung waren richtig und wichtig und „müssen nun ins Land hinausgehen“. Hier sollten die Mitglieder der bag-if und andere Verantwortliche aus Integrationsfirmen mit ihren örtlichen Bundestagsabgeordneten ins Gespräch kommen.
Mit dem Dank an alle Teilnehmenden und an das Vorbereitungsteam von FAF und bag-if beendet er die Jahrestag