bag if Jahrestagung 2023: Inklusionsunternehmen – Wirkungsvoll die Zukunft gestalten
Unter dem Motto „Inklusionsunternehmen – Wirkungsvoll die Zukunft gestalten“ fand vom 23. bis 24. Mai die Jahrestagung 2023 der bag if in Stuttgart statt. Neben mehr als 300 Gästen aus Wirtschaft, Politik, Fachwelt und Verwaltung begrüßte die bag if Dr. Annette Tabbara (BMAS), Dr. Sebastian Schaube (BMWK), Katrin Langensiepen (MdEP), die baden-württembergische Landesbehindertenbeauftragte Simone Fischer sowie Christoph Beyer (BIH), um die Herausforderungen für einen inklusiven Arbeitsmarkt und ein soziales Unternehmertum zu diskutieren.
Zur Eröffnung der Jahrestagung 2023 erklärte Ulrich Adlhoch, 1. Vorsitzender der bag if, dass sich Inklusionsunternehmen seit über 40 Jahren als erfolgreiches Modell der inklusiven Beschäftigung von Menschen mit und ohne Behinderung bewährt haben. Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Krisen sei es wichtig, die nötigen Rahmenbedingungen zu schaffen, damit Inklusionsunternehmen ihren gesetzlichen Auftrag wahrnehmen können und ihre Wachstumspotentiale und Beschäftigungsmöglichkeiten heute und in Zukunft ausschöpfen. Mit Bezug auf den Ampel-Koalitionsvertrag sprach sich Ulrich Adlhoch für mehr Rechtssicherheit bei der Anwendung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes aus. Dieser müsse als wichtiger Nachteilsausgleich für gemeinnützige Inklusionsunternehmen gesetzlich fest verankert werden. Zudem regte der 1. Vorsitzende der bag if eine Umstellung der Fördersystematik aus der Ausgleichsabgabe an und sprach sich dafür aus, die Pro-Kopf-Förderung in den Inklusionsunternehmen zu einer ganzheitlichen Förderung weiterzuentwickeln. Eine zentrale Aufgabe für die Zukunft sei es zudem, eine konstruktive, gemeinschaftliche Debatte über die Struktur des inklusiven Arbeitsmarktes zu führen.
Das diesjährige Tagungsmotto „Wirkungsvoll die Zukunft gestalten“ wurde von der aktuellen bag if Studie MehrWirkung inspiriert. Mit der Studie, die auf der Jahrestagung veröffentlicht wurde, konnte die bag if zusammen mit der concern GmbH und der Universität Bayreuth erstmalig belastbare Wirkungsnachweise des gesellschaftlichen Mehrwerts von Inklusionsunternehmen erbringen. Dr. Markus Groß-Engelmann und Miriam Bingemann (beide concern GmbH) stellten die wichtigsten Ergebnisse der Studie MehrWirkung und das Studiendesign vor. Demnach wurde der Rahmen für die Studie durch die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen gesetzt. Neben einer Unternehmensbefragung wurden auch die Mitarbeitenden und Kund*innen von Inklusionsunternehmen sowie die Integrations- und Inklusionsämter in die Befragung miteinbezogen. Die Studie weist nach, dass Inklusionsunternehmen auf mindestens sieben der UN-Nachhaltigkeitsziele einzahlen und auf vielfältige Weise zu menschenwürdiger Arbeit, sinnstiftenden Kund*innenbeziehungen und einer inklusiven und nachhaltigen Gesellschaft beitragen. Weitere Informationen zur Studie MehrWirkung finden Sie auf unserem Studienportal.
In der anschließenden Keynote stellte Dr. Sebastian Schaube, Referent aus dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK), die neue „Nationale Strategie für Soziale Innovationen und Gemeinwohlorientierte Unternehmen“ vor. Die Strategie sieht vor, geeignete Rahmenbedingungen und Anreizsysteme zu schaffen, um die Entwicklung gemeinwohlorientierter Unternehmen und sozialer Innovationen zu beschleunigen und zu skalieren. Eine wesentliche Rolle spielt dabei der verbesserte Zugang zu Wirtschaftsförderprogrammen und Finanzierungsmöglichkeiten. Mit dem Programm „REACT with impact – Förderung des Sozialunternehmens“ und dem ergänzenden Förderaufruf „Stärkung Gemeinwohlorientierter Unternehmen durch grundlegende Unterstützungsangebote“ hat das BMWK in diesem Jahr bereits die ersten spezialisierten Förderprogramme auf den Weg gebracht. Darüber hinaus sieht die Nationale Strategie die Unterstützung von Neugründungen vor. Geplant sind weitere Unterstützungs- und Beratungsstrukturen sowie Angebote und Maßnahmen in zahlreichen Handlungsfeldern (u.a. Vernetzung und Kollaboration, öffentliche Beschaffung, Forschung, Wirkungsorientierung/-messung). Die Veröffentlichung der Strategie ist für das 3. Quartal 2023 geplant.
Im inklusionspolitischen Fachgespräch diskutierten die Gäste der bag if die „Zukunft des inklusiven Arbeitsmarktes vor dem Hintergrund der Digitalisierung, des Fachkräftemangels und des Krisenmanagements“. Zu ihnen zählten Dr. Annette Tabbara, Leiterin der Abteilung V im BMAS, Katrin Langensiepen, EU-Abgeordnete Bündnis 90/Die Grünen, Simone Fischer, Landesbehindertenbeauftragte in Baden-Württemberg, Christoph Beyer, BIH-Vorsitzender, Mario Bartholomaeus, Geschäftsführer DeColor24 GmbH, und Claudia Rustige, Geschäftsführerin der bag if. Vor dem Hintergrund des neuen Gesetzes zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarktes ging Dr. Annette Tabbara näher auf die gesetzlichen Änderungen ein: „Mit der Einführung der 4. Stufe in der Ausgleichsabgabe, der Streichung des Vermittlungsauftrags für Inklusionsbetriebe und der zweckgebundenen Verwendung der Ausgleichsabgabe zur Förderung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt haben wir wichtige Neuerungen auf den Weg gebracht, um den inklusiven Arbeitsmarkt zu stärken.“ Sie hob auch die Bedeutung der einheitlichen Ansprechstellen für Arbeitgeber hervor. Katrin Langensiepen betonte, dass die Grundlagen für eine inklusive Arbeitswelt in einem inklusiven Bildungssystem verankert werden müssen. Der Maßstab für einen inklusiven Arbeitsmarkt sei die UN-Behindertenrechtskonvention. Der zuständige UN-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen habe Deutschland bereits zum Abbau von Sonderstrukturen aufgefordert. Eine große Herausforderung stellt für Frau Langensiepen zudem das Thema Barrierefreiheit dar, insbesondere in ländlichen Regionen. Simone Fischer sprach sich für eine Stärkung der Inklusionsbetriebe aus und verwies auf die aktuelle „Erfurter Erklärung“ der Behindertenbeauftragten von Bund und Ländern. Zur Umsetzung eines inklusiven Arbeitsmarktes wünschte sich Frau Fischer mehr Mut zum Handeln: „Es ist jetzt nicht mehr die Zeit der Überlegungen, sondern der Umsetzung.“ Als Inklusionsunternehmer erklärte Mario Bartholomaeus, dass man in schwierigen Zeiten nicht nur Leidenschaft, Fachkenntnis und eine hohe Sozialkompetenz benötigt, sondern auch die Unterstützung der Inklusions- und Integrationsämter. Christoph Beyer versicherte ihm und den anwesenden Inklusionsunternehmer*innen, dass die Inklusions- und Integrationsämter verlässliche Partner der Inklusionsbetriebe sind: „Sie werden gebraucht und wir wissen, was wir an Ihnen haben.“ Claudia Rustige sprach sich dafür aus, inklusionshemmende Förderstrukturen auf dem Arbeitsmarkt abzubauen und inklusionsfördernde Entwicklungen zu stärken. Um Inklusionsunternehmen zu unterstützen, sei eine rechtssichere Lösung bei der Anwendung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes von großer Bedeutung. Auch die Vergabe öffentlicher Aufträge müsse rechtlich geschärft werden. Angesichts konstant steigender Personalkosten regte Claudia Rustige zudem eine Dynamisierung bei der Erhöhung des besonderen Aufwands an.
Matthias Münning, ehemaliger LWL-Sozialdezernent und BAGüS-Vorsitzender, stellte mit seiner Keynote die Frage: „Inklusion im Arbeitsmarkt ohne Sonderstrukturen – Utopie oder realistische Perspektive?“. Für ihn ist die Inklusion im Arbeitsmarkt keine Utopie, sondern eine realistische Vision, die es sukzessive zu verwirklichen gilt. Matthias Münning empfiehlt, die Zwei-Welten-Theorie zwischen Erwerbsminderung und Arbeitsfähigkeit aufzuheben: „Jemand, der mit Unterstützung des Integrationsamtes auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt arbeitet und dort seinen Lebensunterhalt verdient, ist nicht erwerbsgemindert.“ Die Aufgabe der Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) sei Rehabilitation und Habilitation, es gehe nicht um Erwerbsarbeit. Nach abgeschlossener Rehabilitation gebe es keinen Bedarf mehr für Sonderprivilegien und Schutzrechte. Durch eine klare Rehabilitations-Orientierung der WfbM könne das Ziel der Wirtschaftlichkeit von dem Ziel der Rehabilitation entkoppelt werden. Matthias Münning hält zudem eine Revision der Systeme zwischen dem Arbeitsmarkt und den WfbM für notwendig: Andere Leistungsanbieter und Außenarbeitsgruppen müssen strenger normiert werden, und zwar mit dem Ziel, die Vision eines Arbeitsmarktes ohne Sonderstrukturen zu realisieren.
Frank Dopheide, Bestseller-Autor und Unternehmensgründer, begann seine Keynote „Mensch oder Zahl – Wo steckt der echte MehrWert?“ mit einer düsteren Beschreibung der Unternehmenswelt: Alle Unternehmen werden nach Zahlen geleitet und der Mensch sei nur ein kleines Rad im Getriebe der Excel-Systeme. Die Manager in den Führungsetagen seien austauschbare Charaktermasken und laufen Gefahr, von Künstlicher Intelligenz verdrängt zu werden. Diesem Zerrbild der Unternehmenswelt widerspricht Frank Dopheide klar. Für ihn steht der Mensch mit seiner Kreativität im Mittelpunkt jedes Unternehmens: „Die entscheidende Variable jeder Erfolgsformel ist der Mensch.“ Um Mitarbeitende zu erreichen und langfristige Beziehungen aufzubauen, sei Wertschätzung von großer Bedeutung: „Wert ist kein Preisschild, sondern ein tiefes Gefühl im Menschen.“ Auch Inklusion sei Ausdruck einer wirkungsvollen und wertvollen Orientierung. Die anwesenden Inklusionsunternehmer*innen beglückwünschte Frank Dopheide zu ihrer Arbeit: „Inklusionsunternehmen machen uns wieder menschlicher.“
Zum Abschluss der bag if Jahrestagung 2023 fasste Ulrich Adlhoch das Event wie folgt zusammen: „Die bag if Jahrestagung ist ein wichtiges Forum, um die Inklusion im Arbeitsmarkt mit Expertinnen und Experten unterschiedlichster Couleur zu diskutieren. Unsere Mitglieder und Gäste schätzen den fachlichen Austausch, die vielfältigen Impulse und die Möglichkeiten zum Netzwerken. Für uns ist es wichtig, das Potential unserer Unternehmen für einen inklusiven Arbeitsmarkt in den Mittelpunkt zu rücken.“
Impressionen von der Jahrestagung